Abstracts

Kunstformen der Theorie. Ausdruck, Sensiblität, Fleisch

Kathrin Busch

Der „Ausdruck muss die Form zerbrechen“, heißt es im Kafka-Buch von Deleuze und Guattari. Sie meinen, das Denken beginne erst dort, wo eine „aktive Desorganisierung“ der Denkformen der Philosophie stattgefunden hat. In dieser formauflösenden Tendenz sensibilisiert sich das Denken, es durchzieht sein Fleisch mit Empfindungsvermögen und artikuliert sich in ästhetischen Gefügen. Das Denken selbst gerät zum Wahrnehmungsorgan, seine Konzepte werden zu empfindsamen Figuren oder Begriffspersonen. Der Vortrag folgt der Idee einer Sensibilisierung des Denkens, die von der Verkörperung des Wissens über die Lust an der Theorie bis hin zu einer neuen Fleischlichkeit verläuft, und verknüpft sie mit der These, dass dieses Ästhetisch-werden der Theorie auf das Theoretisch-werden der Kunst reagiert, wie man es heute etwa in der künstlerischen Forschung findet.

»Gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm«. Aktuale Konstellationen in Walter Benjamin und Donna J. Haraway

Astrid Deuber-Mankowsky

Der Titel ist ein Zitat aus Benjamins Essay Erfahrung und Armut. Benjamin beschreibt darin die Erfahrung seiner Generation als eine neue „Armseligkeit“, die mit der „ungeheuren Entfaltung der Technik“ im Ersten Weltkrieg über die Menschen gekommen sei. Sie kulminiert in einem Bild, das einen „winzigen, gebrechlichen Menschenkörper“ mitten in „einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen“ zeigt. Es ist das Gegenbild der Vorstellung mit der Kant seine Kritik der praktischen Vernunft beschließt und das den Menschen zwischen dem „bestirnten Himmel über mir“ und „dem moralischen Gesetz in mir“situiert. Während Benjamin sich explizit von Kants Vorstellung einer universalen Menschheitsgeschichte distanziert, so hält er doch zugleich an jener Haltung fest, die Michel Foucault als „Aktualität“ von Kants Unternehmen entdeckte: Die Reflexion auf „heute“ als Differenz innerhalb der Geschichte. Eben diese Haltung verbindet Benjamin, bei aller Differenz mit Haraway. Ihre kritischen Analysen einer durch Technoscience und Kapitalismus geprägten Welt folgen exakt dem Motto: „gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm“. Dies gilt, wie in dem Vortrag gezeigt werden soll, für den Ansatz des „Situierten Wissens“ bis hin zur Aufforderung: Staying with the Trouble und die Prägung des Begriffs „Chthulucene“. Es handelt sich nur um jeweils differente historische Konstellationen. 

Wissen oder Wahrheit? Die Logik der Spaltung und das Denken der Kunst

Helmut Draxler

Fakt ist, dass Wissen nicht wahr ist. Wissen ist das, was jede Wahrheit unmöglich macht, gleichzeitig jedoch deren Platz im Symbolischen einzunehmen versucht. Wahr ist jedoch auch, dass Wissen kein Fakt ist. Denn selbst wenn das Wissen nicht mehr in der Wahrheit des Subjekts transzendental begründet werden kann, so nistet doch im Begriff des Wissens selbst ein transzendentales Moment, das empirisch nicht eingeholt werden kann. Im Gegensatz zum Anspruch des Wissens, Wahrheit zu begründen, kann dieses transzendentale Moment nur in einer intrinsischen Negativität, in einem Nicht-Wissen des Wissens über sich selbst liegen. Woran ließe sich nun das negative im Gegensatz zum positiven Wissen festmachen? Und wie könnte diese negative Dimension des Wissens als Wissen, das weder Fakt noch Wahrheit ist, in seiner insistierenden Problematik begriffen werden: als Politik, als Philosophie oder als Kunst? Doch wohl nur in dem Sinn, dass auch dort das Wissen nicht einfach in der Wahrheit aufgehoben werden kann; Politik, Philosophie und Kunst „retten“ uns nicht vor der techno-kapitalistischen Medialität des Wissens. Allerdings bildet das politische, philosophische und künstlerische Wissen den Erscheinungsraum einer empirisch-transzendentalen Differenz aus, in dem an ihren jeweils spezifischen symbolischen Positivitäten die Negativität des Wissens sichtbar gehalten und aus dem heraus die Unmöglichkeit, das moderne Wissen zu denken noch gedacht werden kann.

Naturerkenntnis zwischen Ästhetik und Politik

Christian Martin

In meinem Beitrag werde ich der Frage nach Formen der Erkenntnis jenseits der Wissenschaften mit Blick auf unser gegenwärtiges Naturverhältnis nachgehen. Mein Ausgangspunkt ist dabei, dass der Begriff der Natur selbst kein naturwissenschaftlicher Begriff ist und unser Naturverhältnis insofern eine Aufgabe für das Erkennen mit sich bringt, die sich nicht allein wissenschaftlich bewältigen lässt. 

Mit „Natur“ ist dabei keine Mengen von Gegenständen sondern die Seinsweise dessen gemeint, was nicht gemacht ist. Daraus folgt, dass „Natur“ einen Verhältnisbegriff bezeichnet, der nur im Kontrast zu Begriffen wie „Geist“, „Kultur“ und „Technik“ Sinn ergibt, mittels deren wir unsere eigenen Tätigkeitsweisen als denkende Lebewesen reflektieren. Dass menschliche Tätigkeiten die naturwüchsige Regeneration irdischer Lebensgrundlagen heute in geschichtlich einmaliger Weise durchkreuzen, erfordert, wie ich zeigen möchte, keineswegs, die genannten Dichotomien zugunsten eines bunten Einerlei zu verabschieden, sondern vielmehr, neuartige Weisen ihrer Verschränkung zu begreifen.

Ich werde argumentieren, dass das alltägliche ästhetische Erleben unseres Naturverhältnisses, seine Ausgestaltung in den Künsten und seine philosophische Reflexion einen wichtigen Beitrag hierzu leisten können, insofern sie Dimensionen nicht-wissenschaftlicher Naturerkenntnis eröffnen. Wichtig ist dabei, dass sich im ästhetischen Erleben eine von Haus aus wirkliche und steigerbare, zugleich aber keineswegs selbstverständliche, sondern prekäre “Entsprechung“ von irdischer Natur und menschlicher Kultur lustvoll erleben lässt. 

Tragfähige kollektive Anstrengungen zur Bewahrung der irdischen Lebensgrundlagen sind vor diesem Hintergrund nicht allein wissenschaftlich, instrumentell und ethisch zu motivieren. Vielmehr lassen sich die Auswüchse wissenschaftlich-technischen Umgangs mit der irdischen Natur, wie ich zeigen möchte, nur durch Kultivierung einer im weiteren Sinne „ästhetischen“ Einstellung zu dieser und Erkundung von darin angelegten Möglichkeiten der „Kooperation“ von Natur und Geist einhegen. Eine ästhetische Einstellung zur Natur zu kultivieren, die dieser Aufgabe gewachsen ist, erfordert dabei angesichts der Bedrohung politischer Öffentlichkeit durch die Bildwelten des digitalen Kapitalismus ein ideologiekritisches Zusammenspiel von Kunst und Philosophie.

Dear One, Dear Dead!

Lea Porré

Propositionales und bildliches Sprechen: Ein Gegensatz?

Hans Julius Schneider

Nach einem weithin üblichen Verständnis ist der Bereich des Propositionalen das behauptende Sprechen. Hier, so sagt man, hätten Wahrheit und Falschheit ihren Ort und diese Art der Sprachbenutzung sei am vollkommensten in den Wissenschaften verwirklicht. Manche meinen sogar, sie habe einen Vorbild-Charakter für alle vernünftigen Sprachverwendungen. – Beim bildlichen Sprechen sei dagegen sowohl der behauptende Charakter als auch die Wahrheitsfähigkeit zweifelhaft.

Wofür ist nun die Frage von Interesse, ob eine solche Entgegensetzung überzeugt oder in die Irre führt? Ihre Relevanz wird sichtbar, wenn wir einen Blick auf ihre extremste Form werfen, nämlich auf diejenige, die sie in der frühen Philosophie Ludwig Wittgensteins gefunden hat. In seinem Tractatus logico-philosophicus (1921) lesen wir: „Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“ (6.53) In seinem Buch wird klar, dass er hier an Fragen denkt wie die nach dem Sinn des Lebens oder an die Frage nach der richtigen Einstellung zum Tod. 

Dass wir auf solche Fragen keine wissenschaftlichen Antworten erwarten können wird wohl nur wenige Leser überraschen. Diese Tatsache wäre so lange auch nicht beunruhigend wie wir der Meinung sind, es gebe neben den wissenschaftlich formulierbaren noch andere wichtige Fragen, die entsprechend mit anderen Mitteln beantwortet werden können als denen der Wissenschaften, mit Mitteln, die trotz dieser Wissenschaftsferne respektabel und hilfreich sein können. Unter diesen Mitteln könnte auch das bildliche Sprechen sein so wie andere eher künstlerische Ausdrucksmittel. 

Dies ist aber nicht die Meinung die Wittgenstein in seiner frühen Philosophie vertritt. Denn dort sagt er, die Gesamtheit der wahren Sätze sei die Gesamtheit der Naturwissenschaften  (TLP 4.11) und da er diese Aussage u.a. durch die These erläutert, es könne keine Sätze der Ethik geben und, verallgemeinernd, sogar behauptet, „Sätze können nichts Höheres ausdrücken“ (TLP 6.42) scheint sich das, was er unsere Lebensprobleme nennt, überhaupt nicht erörtern zu lassen. Jeder Versuch solche Probleme sprachlich zum Gegenstand zu machen führt nach seiner damaligen Überzeugung zu Unsinn. Wenn er darin im Recht wäre könnte man sich z.B. über ethische Fragen nicht verständigen.

Vor diesem Hintergrund soll der Vortrag die beiden Titelbegriffe genauer unter die Lupe nehmen. Er wird zu dem Resultat führen, dass der Begriff des propositionalen Redens nicht geeignet ist, die alltägliche, uns geläufige Ausdrucksweise, es gehe um Behauptungen zu präzisieren. Und wir werden sehen dass der späte Wittgenstein seine Meinung aufgibt, dass diejenigen Bereiche bildlichen Sprechens, die sich nicht in ein ‚wörtliches’, propositionales Sprechen übersetzen lassen, unsinnig seien. Seine Begründungen dafür leisten einen Beitrag zur Verbesserung unseres Verständnisses des Bildlichen.

The constellations of that which shows. How go gain/guess knowledge from the aesthetic.

Aloisia Moser

Dieter Mersch, a German philosopher and chair at the department of theory at the Zürcher Hochschule der Künste asks in his book Epistemologies of Aesthetics(Mersch 2015) whether there exists a different knowledge, “another kind of thought” that cannot be explained by philosophical discourse. As it turns out he finds it in Wittgenstein: “a kind of knowledge that inhabits a different continent and follows another ‘logic’ than that of language and its predicates.” (Ibid. 115) Mersch suggests that it is Wittgenstein’s distinction between saying and showing, as well as Benjamin’s method of literary montage, which also “shows” (Benjamin 2002) where he finds this different kind of (aesthetic) thinking. What is this showing then? Mersch claims it is the true ‘labor of aesthetics’ a particular doctrine or way of thinking which he calls “Zer/zeigung”—’showing asunder’ which includes modalities of reflexivity and self-reflexivity. The relations between the elements of that which shows are not logical but are thought in terms of constellations. Mersch subsequently builds a theory of showing and its entanglements that is resistant to translation into concepts or into the language of propositions and comes up with a theory of showing games that allow us to make steps towards new epistemologies of aesthetics. Within the polyvalences of showing and showing oneself, we do not find a relationship between two different paths, but a transformation of the epistemai, of knowledge itself. 

In my paper I introduce and elucidate Mersch’s notion of “Zer-zeigung” and make it pertinent for my own research project on guessing. In my habilitation I elaborate that guessing is part of thinking, that the constellative sense relations of the aesthetics do yield knowledge.

Unsicherheit aushalten

Anne Gräfe

Ende September 2016 um 20 Uhr abends in Berlin: Ein in Nebelschwaden gefüllter Museumsraum, der vormals als Bahnhof funktionierte, und unzählige, durch den Nebel nicht sämtlich sichtbare, Zuschauer_innen aus dem Umfeld der Berliner Kunstszene. Der freie Eintritt ebenso wie die Masse an Menschen gibt dem Ort zurück, was ihm lange eigen war: Öffentlichkeit. Zugleich lies diese mit Nebel erfüllte Bahnhofs-Museumshalle bereits die temporale Dimension der kommenden vier Stunden erahnen. Die Ungewissheit darüber was man sieht, führte zu einer weiteren Ungewissheit die Zeit betreffend: Man wird nicht wissen können was wann passiert, passieren wird und ob überhaupt etwas irgendwann irgendwo geschieht und man wird bald nicht mehr wissen, wieviel Zeit vergangen ist und noch vergehen wird. Zugleich erfüllten Spannung, Erwartungshaltung, vielleicht sogar Spektakelerwartungshaltung den Raum – immerhin bekam die hier aufführende Künstlerin den Preis der Nationalgalerie 2015 (und 2017 den Goldenen Löwen von Venedig) verliehen, immerhin heißt die Arbeit „Angst II“. Kunst verunsichert. Im Augenblick der Unsicherheit wird deutlich, dass Vernunft und Rationalität zwar die Welt beschreiben, aber diese nie gänzlich zu erfassen imstande sind. Dabei ist Kunst nie schon selbst unmittelbar Wissen oder Politik, sondern versetzt uns in eine reflexive Distanz zu unseren Wissensbeständen und lässt uns einen anderen, unsicheren aber nicht immer unvernünftigen, Zugang zur Welt erfahren. Und gerade weil die Gegenstände der Kunst nicht einfach in vernünftiger und rationaler Beschreibung aufgehen, müssen wir uns auf eine andere Wahrnehmungsweise einlassen, die nicht als neuer Imperativ daherkommt, sondern als Erweiterung und Entgrenzung. In der Erfahrung der Kunst erscheint uns die Welt. Anhand der künstlerischen Arbeiten Imhofs der letzten Jahre möchte der Vortrag aufzeigen, dass die ästhetische Erfahrung, mit in und durch die Kunst, Philosophie und Politik konsequent be- und durchspielt. Kunst ist dabei nie von sich aus kritisch und aufklärerisch, also politisch. Vielmehr sind die Konstellationen, Form und Material, aber auch die möglichen Begegnungen und Situationen, Anlässe, um den Unsicherheiten zu begegnen und nachzugehen.

Epistemologien der Komplexität 

Arantzazu Saratxaga Arregi

Netzwerk, Komplexität, Selbstorganisation, Assemblage etc. sind alles Begriffe der geisteswissenschaftlichen Konstellation des letzten Jahrhunderts. Mit dem Paradigmenwechsel der Naturwissenschaften zu den Wissenschaften der Komplexität (Ilya Prigogine und Isabelle Stengers), insbesondere im Rahmen der irreversiblen Physik (Henri Poincaré) und nicht-linearer Gleichungen chemischer Reaktionen (Alan Turing) samt der Einführung der Kommunikationstechnologien in die sozialen Systeme, haben sich die Geisteswissenschaften der Herausforderung gestellt, sich ein neues Wissen über die Komplexität anzueignen. Die Informationstechnologien und die von der Wissenschaft immer deutlicher nachgewiesene Komplexität von Naturphänomenen haben im Gefolge zu einer kompletten Wandlung der Beziehung Mensch/Umwelt geführt, die einige Theoretiker schon als die vierte Kränkung des menschlichen Selbstwertgefühls nach Kopernikus, Darwin und Freud eingestuft haben (Norbert Wiener, George Klaus, Otto Walter Haseloff). Die Philosophien der Komplexität entstammen diesem Paradigmenwechsel zum prozessualen und relationalen Denken (Whitehead). In diesem Kontext ist die operative Erkenntnistheorie ein Versuch, die Komplexität von interaktiven, nicht-linearen Dynamiken sowie von rekursiven und zirkulären Prozessen im Denken wahrzunehmen. Diese Theorie wurde um 1970 im Rahmen der Kybernetik II. Ordnung, der Disziplin für „Observing Systems“ entwickelt. Das Ziel dieses Vortrags besteht in der Darlegung von Prinzipien und Problemen der Epistemologien der Komplexität, ausgehend von konstruktivistischen Theorien der Kybernetik II. Ordnung bis zum ihr angeschlossenen ökologischen (Bateson) und relationalen Denken (Stengers). 

„Sich an C19H28O2 anschließen“Onto-epistemologie und ästhetische Praxis in Paul B. Preciados Testo Junkie 

Georg Dickmann

Denken hat die Tendenz durch reflexive Schleifen die Objekte im Subjekt-Objekt-Verhältnis zu Gunsten eines auktorialen Subjekts auszulöschen. Dieser subjektzentrierten Reduktion haben sich in den letzten Jahren vor allem Strömungen des Neuen Materialismus entgegengestellt, in dem sie, sowohl die Erkenntnistheorie nach Kant, als auch die Hypostasierung der Sprache der Diskursanalyse spekulativ zu verabschieden versuchten. Wie sich eine spekulative Kritik als ästhetische Praxis vollziehen kann, zeigt, so die Ausgangsthese des Vortrags, die Theoriefiktion Testo Junkie. Sex, Drogen, Biopolitik in der Ära der Pharmapornografie (2016) von Paul B. Preciado. In einem theoretisch-ästhetischen Grenzgang unternimmt der spanische Philosoph und Queer-Theoretiker den Versuch, das epistemische Verhältnis von Philosophie, Ästhetik und Politik neu auszuloten. Sein Intoxikationsprotokoll des über ein Jahr andauernden Testosteron-Selbstversuchs, sowie die Sozialphilosophie und queere Diskursgeschichte des Hormons, ist, so die These des Vortrags, eine experimentelle, subjektkritische und konstellative Schreibweise, die nicht nur ein neues Text-Genre kreiert, sondern auch im Sinne des Karen Barad‘schen Theorems der Onto-epistemologie, Weltzusammenhänge nicht als die Gesamtheit interagierender und durch das Subjekt vermittelter Entitäten begreift, sondern als ein prozessartiges, lust- und machtvolles Materialisierungsgeschehen, in dem die Relata den Relationen nicht vorausgehen.

In der gegenseitigen Indienstnahme von Karen Barad und Paul B. Preciado, versucht der Vortrag nachzuspüren, dass weder der Text noch die chemischen Artefakte, die den Körper durchfluten, einfach gegeben sind oder nebeneinanderstehen. Vielmehr werden diese in der ästhetischen Praxis zu einem geteilten und metafiktionalen Gefüge, in dem nicht die Erfahrung von Intoxikation vorrangig ist, die dann nachträglich protokolliert wird, sondern diese sich erst in einem situierten (Haraway) und intraaktiven (Barad) Schreiben formiert. Im Theorieexperiment Preciados ist die ästhetische Praxis somit nicht nur Gegenstand der Untersuchung, sondern hinterfragt die Theorie selbst. Davon ausgehend sind die Leitfragen des Vortrags: wie verschränken sich bei Preciado Theorie und Kunst? Was sind die Bedingungen der Möglichkeit eines situierten und verkörperten Wissens und wie stehen diese in Bezug zu seiner Schreibpraxis?

 

Über die ästhetische Form der Philosophie bei Wittgenstein 

Dr. Jochen Schuff 

Dass Wittgensteins Philosophie mit Problemen der Form ringt, ist auf den ersten Blick zu erkennen. Es genügt dazu, an das jeweils radikale Erscheinungsbild der Hauptwerke zu denken: an die nüch- terne, scheinbar streng logisch geordnete Struktur der Logisch-philosophischen Abhandlung ebenso wie an die aphoristische, fragmentarische, ausfransende Organisation der Philosophischen Untersu- chungen. Zusätzlich finden sich an verschiedenen Stellen seiner Schriften eine ganze Reihe von Be- merkungen Wittgensteins, die Probleme der richtigen Form philosophischen Denkens und Schrei- bens nicht nur thematisieren, sondern auch in explizite Nähe zu Prozessen der Kunstproduktion wie zu ihrer Konzeptualisierung in der Ästhetik bringen. Stanley Cavell hat dieses Formbewusstsein Wittgensteins immer wieder mit den Kunstavantgarden des 20. Jahrhunderts in Verbindung ge- bracht, und Wittgensteins Bemerkungen als einen der entscheidenden Prototypen modernistischer Philosophie gelesen. Diese – wie ich finde, vollkommen zutreffende – Lesart bringt Wittgensteins Arbeiten trotz aller Unterschiede mit den Methoden konstellativen Denkens, wie sie Adorno ent- wirft und etabliert, in enge Verbindung. Nicht zuletzt sind beide Philosophen auch biographisch im Modernismus des 20. Jahrhunderts geradezu verwurzelt, und beide begreifen ihre theoretischen An- strengungen jeweils als Ausloten der Grenzen des Sagbaren. In meiner Präsentation stelle ich dar, dass und wie man Wittgensteins Philosophie missversteht, wenn man dabei die Form ihrer Ausar- beitung nicht gleichberechtigt ernst nimmt. Dabei dient mir Adornos Schreiben als Parallele und Kontrast. Von der offensichtlichen Nähe dieser Formverhandlungen zu den Medienauslotungen mo- dernistischer Künste möchte ich aber weiter in die Gegenwart fragen: Welche Relevanz haben die Formbestimmungen Wittgensteins für das Denken (und die Künste) der Gegenwart? Steckt sein Denken (allzu) tief in den Bedingungen des 20. Jahrhunderts, die es zweifelsohne verkörpert, und ist daher heute nur bedingt aktuell? Oder ist es im Gegenteil für ein angemessenes Verständnis der Gegenwart in Künsten und Theorie unabdingbar, die Verstrickung von Form und Gehalt, die seine philosophischen Methode ausmacht, zu erfassen? Ich optiere für die zweite Alternative, indem ich in meiner Präsentation einerseits die Aktualität Wittgensteins für die Philosophie der Kunst skizzie- re und andererseits die Bedeutung der ästhetischen Aspekte seines Denkens für die Disziplin der Philosophie als solche betone. 

Literally Speaking. Literatur als indirekter Weg zur Wahrheit 

Dr. Nicola Tams 

“Manche von euch halten es wahrscheinlich für eine schlimme Sache, dass wir uns in Vereinen, Stadtvierteln und Gemeinden, unter Studentinnen und sogar als Schülerinnen in farbigen Schulen je nach der Tönung unserer Haut – je heller, desto besser – zusammenschließen. Aber wie sonst sollen wir uns einen Rest von Würde bewahren?”, sagt die Protagonistin in Toni Morrisons Roman “Gott, hilf dem Kind.” 

Wer würde dieser Schilderung einer Protagonistin einen wahrheitlichen Gehalt absprechen? In meinem Beitrag zur Tagung möchte ich die Literatur als Möglichkeit verstehen, einen indirekten Zugang zum Wissen zu bieten. Hierbei können Kierkegaards Einordnungen der Philosophie in direktere und indirektere Reflexionsformen herangezogen werden. In unterschiedlichen literarischen Texten werden nicht nur Evidenzeffekte hervorgerufen, sondern sind sie meines Erachtens auch Ausdruck von politischen Themen und haben damit einen wahren Kern. Das Verbot von literarischen Büchern je nach politischem Kontext ist ein weiteres Argument dafür. 

“Because I don’t stick to the side of conceptual reasoning. (…) In my text everything remains stubbornly concrete,” schreibt Hélène Cixous über ihr Schreiben. Das Konkrete der Literatur, ist es keine Weise des Denkens? “Meine Figuren treten mir nicht entgegen, um mich zu rühren, sondern sie sind mein Material, anhand dessen ich schreibend nachdenke,” schreibt die Autorin literarischer Texte Annette Pehnt und Dagmar Leupold sieht sogar die Reflexion als Ausgangspunkt poetischer Praxis: “Nichts, was man weiß, drängt zu poetischem Ausdruck, sondern was man wissen möchte.” Dem möchte ich nachgehen, der Frage, auf welche Weise die ästhetische Praxis der Literatur nachdenkt und dafür halten, dass sie mehr ist als eine der “Sinnmelodien” (Gadamer) der Philosophie. 

Zur Konstellation von Philosophie, Sprache und Literatur: Derridas Auseinandersetzung mit Hegel in Glas 

Simon Waskow

In meinem Vortrag möchte ich die Frage der sprachlichen Darstellung des Wissens und Den- kens der Philosophie anhand von Derridas Auseinandersetzung mit Hegel in Glas umreißen. Die Leitfrage der Tagung – nach der Re-Evaluation der Wissensansprüche der Philosophie und ihres Verhältnisses zu den Bereichen des Ästhetischen, Sozialen und Politischen – hat Derrida in seinem Buch Glas gestellt: Was bleibt – für uns, heute – vom absoluten Wissen? Noch stärker als in seinen anderen Texten, arbeitet Derrida hier auf der Formebene: Der gesamte Text glie- dert sich in zwei Spalten, von denen die linke Hegel und die rechte Jean Genet gewidmet ist. Zusätzlich werden beide Spalten von Textfenstern und Einschüben durchsetzt. Derrida konstru- iert hier also eine Konstellation zweier Autoren, die paradigmatisch für „Philosophie“ und Li- teratur“ stehen. Durch die Gliederung in Spalten ist der Text nicht linear lesbar, sondern eröff- net vielmehr eine unendliche Möglichkeit verschiedener gedanklicher Verbindungen. Ein Ziel Derridas ist es dabei, die Texte der beiden Autoren, die er ausführlich zitiert, nur durch ihre Nebeneinanderstellung neu lesbar zu machen. 

Eine besondere Rolle spielt dabei – wie auch in Derridas anderen Auseinandersetzungen mit Hegel – die Sprache der Philosophie. Für Hegel war entscheidend, dass das Denken sich nur entwickeln kann, indem es sich sprachlich artikuliert und darstellt. Zugleich sieht Hegel klar, dass die Kontingenz und Bildhaftigkeit der Sprache zwar produktiv als Katalysator des Den- kens, genauso aber als Hemmung wirken können. In seiner sprachlichen Artikulation ist das Denken einem Medium ausgesetzt, das es letztlich nicht kontrollieren und restlos durchsichtig machen kann. 

Derrida sieht Hegel darin durchaus als Vorbild für sein eigenes Denken der Differenz. Er selbst radikalisiert nun diesen Gedanken und konstruiert Glas als Logik des Zwischenraums, als Ope- ration der uneingeschränkten Sinn-Produktion, bei der alle Sinnressourcen der Sprache freige- setzt werden. Derrida führt damit nicht die Philosophie in die Beliebigkeit, sondern er unter- streicht die Rolle und die Eigendynamik derjenigen Momente, denen die Philosophie für ge- wöhnlich einen nachgeordneten Stellenwert zuschreibt, nämlich der Sinnbewegung auf der sprachlichen Mikroebene und der Einbettung in soziale Strukturen wie Gesellschaft und Fami- lie. 

Das Zeug zur Erkenntnis – Forschung durch Spekulatives Design 

Tom Bieling 

Wie wohl kaum eine andere Forschungs- und Wissensdisziplin legen das vergleichsweise junge Feld des „Spekulativen Designs“ (Dunne/Raby 2008, 2014) und die sich darum rankenden Diskurse die Tendenz – vielleicht auch die Erfordernis – offen, neue Narrative in Wissenschaft, den Künsten, und den irgendwo dazwischen positionierten, von Hause aus eher anwendungsorientierten, Designdisziplinen zu (er-) finden. (Bieling 2020) 

Sich im, zumal spekulativen und folglich nicht immer unweigerlich auch evidenzbasierten Bereich der gestalterischen Projektion den Forschungsformaten der Naturwissenschaften zu unterordnen, ist nicht immer möglich und nicht immer sinnvoll. Ähnliches gilt zum Teil für die Orientierung an den Geisteswissenschaften. Von außen wie von innen betrachtet, erscheint der Forschungsbegriff im Gestaltungskontext streckenweise diffus. Es stellt sich die Frage, welche originären Methoden der Wissensgenerierung sich in den Gestaltungsdisziplinen – und wichtiger noch: aus ihnen heraus – entwickeln und anwenden lassen. Was nicht unbedingt dadurch vereinfacht wird, dass wir hier in Feldern agieren, in denen Subjektives mit Objektivem, Implizites mit Explizitem, und eben auch Spekulatives mit faktenbasiertem, „wissenschaftlich abgesichertem“ Wissen verschmolzen wird. 

Es zeichnet sich hier womöglich eine neue, andere, besondere, hybride Form des Wissens ab, (Cross 2008) die sich vor allem aus Erfahrung im Entwurf („Gestaltende“) und im Gebrauch („Rezipient*innen“) sowie dem Dialog aus Beidem speist, und überdies von einer Vielfalt an Arbeitsprozessen, Beobachtungsformen, Darstellungs-, Deutungs-, Erscheinungs- und Vermittlungsweisen, medialen Zugängen und artefaktischen Manifestierungen geprägt ist. Dies umschließt die Interaktion von Körper, Geist und materieller Welt, die immer auch durch Sprache, Bild und den Prozess des Entstehens vermittelt wird. Denken und Wissen ist in dieser Gemengelage selten autonom, sondern eng an das Materielle bzw. Virtuelle gekoppelt. Mehr noch: es geht aus diesem hervor. Das Gestaltete fungiert somit unweigerlich als Quelle der Vorstellungskraft und (schöpferischen) Erkenntnis. Und: Das Medium der (Werk- bzw. werkzeuglichen) Arbeit ist zugleich auch Medium des Denkens – so wie der Stoff für den/die Schneider*in. 

Verstehen wir Spekulatives Design als eine im Artefakt verkörperte und aus ihm heraus vermittelte Form des Diskurses, so ergibt sich daraus eine Gestaltungskategorie, die sich nach anderen Maßstäben bemisst, als etwa denen von „Form“ und „Funktion“. Eine Art Diskurs- durch-Design, deren Wert sich gerade aus der Konfrontation mit anderen Praxisfeldern, Wissensdisziplinen und Denkschulen speist. 

Ausgangspunkt des Input-Vortrags ist die Frage nach den Erkenntnispotentialen spekulativen Forschens und die Annahme, dass es nicht nur eine richtige Form von Wissenschaft gibt, sondern viele mögliche Formen Wissen zu schaffen. Dass die Entwurfs- und Gestaltungsdisziplinen (aus unterschiedlichen Gründen) zunehmend dazu angehalten sind, wissenschaftlich forschend zu agieren, führt durchaus zu (inneren wie äußeren) Konflikten. Etwa in Bezug darauf, nach welchen Kriterien Forschung zu erfolgen hat, sowie einer gewissen Grundskepsis gegenüber einer allzu starken, restriktiven Formalisierung von Forschungsprozessen, -formaten und -ergebnissen. 

%d bloggers like this: