Vorträge im Plenum

Der Titel ist ein Zitat aus Benjamins Essay Erfahrung und Armut. Benjamin beschreibt darin die Erfahrung seiner Generation als eine neue „Armseligkeit“, die mit der „ungeheuren Entfaltung der Technik“ im Ersten Weltkrieg über die Menschen gekommen sei. Sie kulminiert in einem Bild, das einen „winzigen, gebrechlichen Menschenkörper“ mitten in „einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen“ zeigt. Es ist das Gegenbild der Vorstellung mit der Kant seine Kritik der praktischen Vernunft beschließt und das den Menschen zwischen dem „bestirnten Himmel über mir“ und „dem moralischen Gesetz in mir“situiert. Während Benjamin sich explizit von Kants Vorstellung einer universalen Menschheitsgeschichte distanziert, so hält er doch zugleich an jener Haltung fest, die Michel Foucault als „Aktualität“ von Kants Unternehmen entdeckte: Die Reflexion auf „heute“ als Differenz innerhalb der Geschichte. Eben diese Haltung verbindet Benjamin, bei aller Differenz mit Haraway. Ihre kritischen Analysen einer durch Technoscience und Kapitalismus geprägten Welt folgen exakt dem Motto: „gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm“. Dies gilt, wie in dem Vortrag gezeigt werden soll, für den Ansatz des „Situierten Wissens“ bis hin zur Aufforderung: Staying with the Trouble und die Prägung des Begriffs „Chthulucene“. Es handelt sich nur um jeweils differente historische Konstellationen. 

Fakt ist, dass Wissen nicht wahr ist. Wissen ist das, was jede Wahrheit unmöglich macht, gleichzeitig jedoch deren Platz im Symbolischen einzunehmen versucht. Wahr ist jedoch auch, dass Wissen kein Fakt ist. Denn selbst wenn das Wissen nicht mehr in der Wahrheit des Subjekts transzendental begründet werden kann, so nistet doch im Begriff des Wissens selbst ein transzendentales Moment, das empirisch nicht eingeholt werden kann. Im Gegensatz zum Anspruch des Wissens, Wahrheit zu begründen, kann dieses transzendentale Moment nur in einer intrinsischen Negativität, in einem Nicht-Wissen des Wissens über sich selbst liegen. Woran ließe sich nun das negative im Gegensatz zum positiven Wissen festmachen? Und wie könnte diese negative Dimension des Wissens als Wissen, das weder Fakt noch Wahrheit ist, in seiner insistierenden Problematik begriffen werden: als Politik, als Philosophie oder als Kunst? Doch wohl nur in dem Sinn, dass auch dort das Wissen nicht einfach in der Wahrheit aufgehoben werden kann; Politik, Philosophie und Kunst „retten“ uns nicht vor der techno-kapitalistischen Medialität des Wissens. Allerdings bildet das politische, philosophische und künstlerische Wissen den Erscheinungsraum einer empirisch-transzendentalen Differenz aus, in dem an ihren jeweils spezifischen symbolischen Positivitäten die Negativität des Wissens sichtbar gehalten und aus dem heraus die Unmöglichkeit, das moderne Wissen zu denken noch gedacht werden kann.

(N.a.)

Nach einem weithin üblichen Verständnis ist der Bereich des Propositionalen das behauptende Sprechen. Hier, so sagt man, hätten Wahrheit und Falschheit ihren Ort und diese Art der Sprachbenutzung sei am vollkommensten in den Wissenschaften verwirklicht. Manche meinen sogar, sie habe einen Vorbild-Charakter für alle vernünftigen Sprachverwendungen. – Beim bildlichen Sprechen sei dagegen sowohl der behauptende Charakter als auch die Wahrheitsfähigkeit zweifelhaft.

Wofür ist nun die Frage von Interesse, ob eine solche Entgegensetzung überzeugt oder in die Irre führt? Ihre Relevanz wird sichtbar, wenn wir einen Blick auf ihre extremste Form werfen, nämlich auf diejenige, die sie in der frühen Philosophie Ludwig Wittgensteins gefunden hat. In seinem Tractatus logico-philosophicus (1921) lesen wir: „Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“ (6.53) In seinem Buch wird klar, dass er hier an Fragen denkt wie die nach dem Sinn des Lebens oder an die Frage nach der richtigen Einstellung zum Tod. 

Dass wir auf solche Fragen keine wissenschaftlichen Antworten erwarten können wird wohl nur wenige Leser überraschen. Diese Tatsache wäre so lange auch nicht beunruhigend wie wir der Meinung sind, es gebe neben den wissenschaftlich formulierbaren noch andere wichtige Fragen, die entsprechend mit anderen Mitteln beantwortet werden können als denen der Wissenschaften, mit Mitteln, die trotz dieser Wissenschaftsferne respektabel und hilfreich sein können. Unter diesen Mitteln könnte auch das bildliche Sprechen sein so wie andere eher künstlerische Ausdrucksmittel. 

Dies ist aber nicht die Meinung die Wittgenstein in seiner frühen Philosophie vertritt. Denn dort sagt er, die Gesamtheit der wahren Sätze sei die Gesamtheit der Naturwissenschaften  (TLP 4.11) und da er diese Aussage u.a. durch die These erläutert, es könne keine Sätze der Ethik geben und, verallgemeinernd, sogar behauptet, „Sätze können nichts Höheres ausdrücken“ (TLP 6.42) scheint sich das, was er unsere Lebensprobleme nennt, überhaupt nicht erörtern zu lassen. Jeder Versuch solche Probleme sprachlich zum Gegenstand zu machen führt nach seiner damaligen Überzeugung zu Unsinn. Wenn er darin im Recht wäre könnte man sich z.B. über ethische Fragen nicht verständigen.

Vor diesem Hintergrund soll der Vortrag die beiden Titelbegriffe genauer unter die Lupe nehmen. Er wird zu dem Resultat führen, dass der Begriff des propositionalen Redens nicht geeignet ist, die alltägliche, uns geläufige Ausdrucksweise, es gehe um Behauptungen zu präzisieren. Und wir werden sehen dass der späte Wittgenstein seine Meinung aufgibt, dass diejenigen Bereiche bildlichen Sprechens, die sich nicht in ein ‚wörtliches’, propositionales Sprechen übersetzen lassen, unsinnig seien. Seine Begründungen dafür leisten einen Beitrag zur Verbesserung unseres Verständnisses des Bildlichen.

Der „Ausdruck muss die Form zerbrechen“, heißt es im Kafka-Buch von Deleuze und Guattari. Sie meinen, das Denken beginne erst dort, wo eine „aktive Desorganisierung“ der Denkformen der Philosophie stattgefunden hat. In dieser formauflösenden Tendenz sensibilisiert sich das Denken, es durchzieht sein Fleisch mit Empfindungsvermögen und artikuliert sich in ästhetischen Gefügen. Das Denken selbst gerät zum Wahrnehmungsorgan, seine Konzepte werden zu empfindsamen Figuren oder Begriffspersonen. Der Vortrag folgt der Idee einer Sensibilisierung des Denkens, die von der Verkörperung des Wissens über die Lust an der Theorie bis hin zu einer neuen Fleischlichkeit verläuft, und verknüpft sie mit der These, dass dieses Ästhetisch-werden der Theorie auf das Theoretisch-werden der Kunst reagiert, wie man es heute etwa in der künstlerischen Forschung findet.

In meinem Beitrag werde ich der Frage nach Formen der Erkenntnis jenseits der Wissenschaften mit Blick auf unser gegenwärtiges Naturverhältnis nachgehen. Mein Ausgangspunkt ist dabei, dass der Begriff der Natur selbst kein naturwissenschaftlicher Begriff ist und unser Naturverhältnis insofern eine Aufgabe für das Erkennen mit sich bringt, die sich nicht allein wissenschaftlich bewältigen lässt. 

Mit „Natur“ ist dabei keine Mengen von Gegenständen sondern die Seinsweise dessen gemeint, was nicht gemacht ist. Daraus folgt, dass „Natur“ einen Verhältnisbegriff bezeichnet, der nur im Kontrast zu Begriffen wie „Geist“, „Kultur“ und „Technik“ Sinn ergibt, mittels deren wir unsere eigenen Tätigkeitsweisen als denkende Lebewesen reflektieren. Dass menschliche Tätigkeiten die naturwüchsige Regeneration irdischer Lebensgrundlagen heute in geschichtlich einmaliger Weise durchkreuzen, erfordert, wie ich zeigen möchte, keineswegs, die genannten Dichotomien zugunsten eines bunten Einerlei zu verabschieden, sondern vielmehr, neuartige Weisen ihrer Verschränkung zu begreifen.

Ich werde argumentieren, dass das alltägliche ästhetische Erleben unseres Naturverhältnisses, seine Ausgestaltung in den Künsten und seine philosophische Reflexion einen wichtigen Beitrag hierzu leisten können, insofern sie Dimensionen nicht-wissenschaftlicher Naturerkenntnis eröffnen. Wichtig ist dabei, dass sich im ästhetischen Erleben eine von Haus aus wirkliche und steigerbare, zugleich aber keineswegs selbstverständliche, sondern prekäre “Entsprechung“ von irdischer Natur und menschlicher Kultur lustvoll erleben lässt. 

Tragfähige kollektive Anstrengungen zur Bewahrung der irdischen Lebensgrundlagen sind vor diesem Hintergrund nicht allein wissenschaftlich, instrumentell und ethisch zu motivieren. Vielmehr lassen sich die Auswüchse wissenschaftlich-technischen Umgangs mit der irdischen Natur, wie ich zeigen möchte, nur durch Kultivierung einer im weiteren Sinne „ästhetischen“ Einstellung zu dieser und Erkundung von darin angelegten Möglichkeiten der „Kooperation“ von Natur und Geist einhegen. Eine ästhetische Einstellung zur Natur zu kultivieren, die dieser Aufgabe gewachsen ist, erfordert dabei angesichts der Bedrohung politischer Öffentlichkeit durch die Bildwelten des digitalen Kapitalismus ein ideologiekritisches Zusammenspiel von Kunst und Philosophie.

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